Stellen Sie sich ein präzises Uhrwerk vor. Jedes Zahnrad und jeder Mechanismus arbeiten in perfekter Harmonie zusammen, um die Zeit zu messen. Entfernt man auch nur ein kleines Zahnrad, bleibt die Uhr stehen. Ähnlich verhält es sich mit der Wirtschaft und der Natur. Jede wirtschaftliche Aktivität hängt von einer Vielzahl natürlicher Ressourcen ab. Das diesjährige Dialogforum von UBi hat diesen engen Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Natur eindrucksvoll unterstrichen.
Mehr als 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Naturschutz diskutierten am 11. Juni 2024 im Allianz Forum in Berlin darüber, wie Unternehmen die biologische Vielfalt schützen können und warum dies nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll ist. Die vom UBi-Projektpartner Biodiversity in Good Company organisierte Veranstaltung bot eine Plattform für Austausch und Inspiration und konnte im Vergleich zum Vorjahr fast doppelt so viele Anmeldungen verzeichnen. Dies zeigt, dass das Thema Biodiversität in der Wirtschaft zunehmend Beachtung findet.
Die Bedeutung der Biodiversität für die Wirtschaft
Biodiversität ist mehr als nur ein Umweltbegriff; sie ist das Rückgrat der globalen Wirtschaft. Dr. Jan-Niclas Gesenhues, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, betonte in der Eröffnungsrede: „Umwelt- und Naturschutz sind die Grundlage von Wertschöpfung. 70 Prozent der Unternehmen im Euroraum sind direkt oder mittelbar abhängig von Ökosystemleistungen.“ Diese Abhängigkeit zeige, wie wichtig und dringlich es ist, Biodiversität in unternehmerische Entscheidungen einzubeziehen.
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Herausforderungen und Chancen: Erkenntnisse aus der Podiumsdiskussion
Die Podiumsdiskussion bot eine lebhafte Plattform für den Austausch über die zentrale Rolle der Biodiversität in der Wirtschaft. Die Herausforderungen, die Unternehmen bewältigen müssen, um Biodiversität zu fördern, wurden deutlich. Von der komplexen Berichterstattung bis hin zu den praktischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Maßnahmen gibt es viele Hürden.
Dr. Jan-Niclas Gesenhues eröffnete die Diskussion mit einem eindringlichen Appell: „Wir müssen nichtsdestotrotz festhalten, die Wirtschaft ist an ganz vielen Stellen Teil der Lösung. Aber sie ist im Moment noch an einigen Stellen Teil des Problems.” Er betonte die Notwendigkeit, dass Unternehmen ihre Verantwortung gegenüber der Natur erkennen und entsprechende Maßnahmen ergreifen, und wies darauf hin, dass Unternehmen dadurch auch Vorteile haben: “In Zukunft wird es immer stärker so sein, dass Unternehmen, die auf Sorgfaltspflichten entlang ihrer Lieferkette achten, einen Wettbewerbsvorteil haben werden.”
Anna Alex, Unternehmerin und Gründerin von Nala Earth, vertiefte diesen Gedanken, indem sie auf die Messbarkeit von Biodiversität hinwies: „Wir müssen aufhören, so zu tun, als ob die Services der Natur unendlich und kostenlos sind.“ Ihr Unternehmen bietet ein Tool an, mit dem die Auswirkungen von Unternehmen auf die Biodiversität genau erfasst und bewertet werden können. Diese Daten sind unerlässlich, um fundierte Entscheidungen zu treffen und Nachhaltigkeit in die Unternehmenspraxis zu integrieren. Gleichzeitig sei in der Vergangenheit oft das Argument gefallen, Biodiversität sei im Vergleich zu Klimaauswirkungen zu schwer messbar, um sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen. „Wir haben ausreichend Daten, um Auswirkungen auf die Biodiversität sichtbar zu machen. Das Argument der schwierigen Messbarkeit kann man nicht mehr gelten lassen“, so Anna Alex.
Wolfgang Schubert-Raab, Präsident Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB), sprach über die spezifischen Herausforderungen und Chancen in der Bauindustrie. „Wir müssen uns daran erinnern, dass jede Bauaktivität die Umwelt beeinflusst. Aber wir haben auch die Verantwortung und die Möglichkeit, positive Veränderungen herbeizuführen, indem wir grüne Bautechniken und umweltfreundliche Materialien verwenden,“ sagte er. Er zeigte auf, wie die Bauindustrie durch innovative Ansätze dazu beitragen kann, ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern.
Die Diskussion machte auch deutlich, dass viele Unternehmen noch am Anfang stehen, wenn es darum geht, ihre Auswirkungen auf die Biodiversität zu verstehen und zu messen. Dr. Nicolas zur Nieden von Ernst & Young betonte: „Durch umfassende Berichterstattung wird das Bewusstsein der Unternehmen geschärft. Und es hilft, Risiken und Chancen zu minimieren.“ Er unterstrich, dass die Erfassung und Analyse von Biodiversitätsdaten nicht nur Risiken aufdeckt, sondern auch neue Möglichkeiten für Unternehmen eröffnet, nachhaltige Praktiken umzusetzen.
Auch kleinere Unternehmen können große Wirkung entfalten. Bei der Podiumsrunde wurde hervorgehoben, wie KMUs durch einfache Maßnahmen wie die Anlage von Streuobstwiesen oder die Begrünung von Dachflächen nicht nur zur Biodiversität beitragen, sondern auch ihr Unternehmensimage verbessern und praktische Vorteile wie Kühlung und Wasserrückhaltung nutzen können.
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Praxisbeispiele aus der Wirtschaft
Verschiedene Praxisbeispiele zeigten den Besucherinnen und Besuchern noch einmal konkret, wie Unternehmen Biodiversität in ihre Geschäftsmodelle integrieren können und boten Inspriation für eigene Aktivitäten:
Hipp: Ohne die natürlichen Ressourcen, die eine vielfältige und gesunde Umwelt bietet, könnten Unternehmen nicht existieren, geschweige denn florieren. Hipp, ein Vorreiter im ökologischen Landbau, setzt deshalb innovative Instrumente ein, um die Umweltauswirkungen seiner Lieferkette zu überwachen und zu verbessern. Dieser Ansatz hilft dem Unternehmen, Risiken zu identifizieren und nachhaltige Strategien zu entwickeln, die sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvoll sind. Darüber hinaus betont Johannes Knubben, Head of Sustainability, dass Reporting kein Selbstzweck ist, sondern einen Mehrwert für Unternehmen liefert: „Es ist nicht nur eine Berichtspflicht, sondern auch eine Berichtschance.”
Melitta-Gruppe: Ein eindrucksvolles Beispiel für die Bedeutung der Biodiversität für Unternehmen lieferte die Melitta Gruppe, die auf die direkte Abhängigkeit ihrer Produktionsprozesse von natürlichen Rohstoffen hinwies: „Wir sehen Biodiversität als Grundlage unseres Geschäftsmodells. Denn Kaffee können wir nur herstellen, wenn wir Kaffeebohnen haben. Und wir können nur Filterpapier herstellen, wenn wir Zellstoffe haben, die aus Holz gewonnen werden. Sie sehen, wir sind absolut unmittelbar abhängig von diesen Rohstoffen,“ erklärte Sarah Ruth Brinkmann, Head of Sustainability Strategy. Diese Abhängigkeit zeigt, wie wichtig es ist, die Natur zu schützen, um die Verfügbarkeit und Qualität dieser Ressourcen langfristig zu sichern.
Spaleck GmbH: Das mittelständische Maschinenbauunternehmen Spaleck hat in Zusammenarbeit mit dem NABU zahlreiche Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität umgesetzt und zeigt, wie auch Industrieunternehmen einen positiven Beitrag zur lokalen Ökologie leisten können. Dazu gehören die Begrünung des Firmengeländes und das Anbringen von Nisthilfen für Insekten und Vögel. „Unsere Hauptansatzpunkte in unserer Biodiversitätsstrategie sind vor allem das Klima und die Biodiversität“, erklärt Carsten Sühling, Geschäftsführer des Unternehmens.
Immerbunt: “Vertrocknete Böden, überschwemmte Böden, Waldsterben, Artensterben – alles Ereignisse die ich seit kleinauf an beobachten durfte”, so beginnt Tom Junge, Geschäftsführer des Umwelt-Start-ups Immerbunt, seine Rede und erklärt damit die Motivation zur Gründung. Seit dem Jahr 2021 unterstützt Immerbunt Unternehmen bei der Begrünung von Firmengeländen und der ökologischen Aufwertung von Grenzstandorten. Das erklärte Ziel: “Wir schaffen nachhaltig vernetzte Natur.“
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Fachforen: Vertiefung in branchenspezifische Herausforderungen
Neben den allgemeinen Diskussionen bot das Dialogforum von UBi vier spezialisierte Fachforen, die sich jeweils mit den Herausforderungen und Chancen in verschiedenen Branchen befassten:
- Tourismus: Dieses Forum beschäftige sich mit der Frage, wie der Schutz der Biodiversität und der Tourismus miteinander in Einklang gebracht werden können. Praktische Beispiele und Diskussionen zeigten auf, wie nachhaltiger Tourismus die Biodiversität fördern kann.
- Bauen: Hier wurden innovative Ansätze für nachhaltiges Bauen vorgestellt, die die Auswirkungen auf die Biodiversität minimieren. Dabei ging es um die Verwendung umweltfreundlicher Materialien und die Integration von Grünflächen in Bauprojekte.
- Textil: Die Textilindustrie, die stark von Naturfasern abhängig ist, diskutierte über nachhaltige Beschaffungspraktiken und die Reduzierung negativer Umweltauswirkungen entlang der Lieferketten.
- KMU: Kleine und mittlere Unternehmen erhielten konkrete Tipps und Instrumente zur Integration von Biodiversität in ihre Geschäftsstrategien. Es wurde aufgezeigt, wie sie einen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität leisten können, ohne ihre Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden, sondern vielmehr davon zu profitieren.
Kulturelles Rahmenprogramm
Abgerundet wurde das Forum durch ein kulturelles Rahmenprogramm. Die Musiker Rubin Henkel und Niklas Bolten von fuenfvierteltakt boten mit ihrem Projekt „A voice for endangered species“ eine Gelegenheit für Innehalten und achtsame Minuten. Das Projekt gab bedrohten Arten eine Stimme und zeigte eindrucksvoll die Verbindung von Kunst und Natur.
Ein interaktives Biodiversitäts-Quiz bot den Teilnehmern die Möglichkeit, ihr Wissen über Naturschutz auf unterhaltsame Weise zu testen und zu erweitern. Die drei Schnellsten erhielten Preise der Gewinner des UBi-Unternehmenswettbewerbs (Kaffee von Melitta, Schokolade von Perú Puro und ein kostenloses Girokonto bei der Triodos Bank). Damit wurde das Thema Biodiversität auch mittels kurzweiligen Infotainments erlebbar gemacht.
Fazit: Biologische Vielfalt als Schlüssel zur Zukunftsfähigkeit
Das Dialogforum von UBi hat klar gezeigt, dass der Schutz der Biodiversität nicht nur eine moralische Verpflichtung ist, sondern auch wirtschaftlich Sinn macht. Diese Botschaft kommt bei immer mehr Unternehmen an, wie das steigende Interesse seitens der Wirtschaft zeigt. Unternehmen, die sich für den Erhalt der natürlichen Ressourcen einsetzen, können langfristig wettbewerbsfähiger werden und neue Chancen nutzen.
Gemeinsam die Zukunft gestalten: Werden Sie aktiv!
Die Teilnehmenden des Dialogforums wurden ermutigt, konkrete Schritte zur Förderung der Biodiversität zu unternehmen und sich von den zahlreichen Best-Practice-Beispielen inspirieren zu lassen. Ob durch die Implementierung kleinerer Maßnahmen wie die Begrünung von Flächen oder durch die Entwicklung umfassender Biodiversitätsstrategien – jede Aktion zählt.
Auch Sie sind gefragt: Welche Maßnahmen können Sie umsetzen, um die Biodiversität und damit Ihre Wettbewerbsfähigkeit zu fördern? Nutzen Sie für einen ersten Schritt unseren Signifikanz-Check, um Ihre Auswirkungen auf die Biodiversität zu verstehen und zu verbessern. Oder werden Sie als Wirtschaftsverband Teil des Unterstützerkreises von UBi und vernetzen Sie sich mit NGOs, Politik und anderen aktiven Wirtschaftsakteuren. Gerne laden wir Sie auch ein, direkt mit uns in Kontakt zu treten, um mehr über Biodiversität und wirtschaftliche Nachhaltigkeit zu erfahren.
Gemeinsam können wir Wirtschaft und Natur in Einklang bringen und so den Grundstein für eine nachhaltige und erfolgreiche Zukunft legen.