Chemie ist (fast) alles

Produkte aus dieser Schlüsselindustrie finden wir in Medikamenten, Maschinen und Computern, Kosmetik, Landwirtschaft und einfach überall im Alltag. Ohne Chemie ist unsere moderne Welt nicht vorstellbar. Aber wie alles, hat auch sie Nebenwirkungen. Für den Erhalt der Biodiversität kommt diesem Wirtschaftszweig damit eine besondere Bedeutung zu. Sie ist Problem und Lösung zugleich.

Wechselwirkungen verstehen

Die schnelle Abnahme der biologischen Vielfalt wirkt sich auf die wirtschaftliche Nutzbarkeit von Flächen genauso aus wie auf die Verfügbarkeit von sauberem Wasser oder nutzbaren genetischen Ressourcen. Standortspezifische Faktoren sind genauso relevant wie die Betrachtung der Lieferketten oder die Analyse der eingesetzten Rohstoffe. Die Chemische Industrie bildet da keine Ausnahme. Jedoch sind die Abhängigkeiten, ebenso wie bei der Lebensmittel- oder Medikamentenproduktion, auf Ökosysteme und Genetik besonders evident.

 

Die Auswirkungen von Chemikalien auf die biologische Vielfalt können direkt, aber auch indirekt sein. Die indirekten Einflüsse ergeben sich durch die Freisetzung von Schadstoffen in die Umwelt. In der Landwirtschaft eingesetzte Chemikalien wie Pestizide und Düngemittel können sich negativ auf die Boden- und Wasserqualität und somit auf die biologische Vielfalt auswirken. Hier zeigt sich, dass die Chemiebranche eng mit den unterschiedlichsten Branchen verflochten ist.

 

Viele Chemikalien, z. B. solche, die im Verkehr und in der Energieerzeugung eingesetzt werden, tragen zu den Treibhausgasemissionen bei, die den globalen Klimawandel beschleunigen. Die wohl bekannteste „Klima-Chemikalie“ ist FCKW (Fluorchlorkohlenwasserstoffe) – bekannt und gebannt als die Ursache des Ozonlochs. Fluorkohlenwasserstoffe (FKW, ohne Chlor) sind nach wie vor als Kühlmittel in Klimaanlagen oder Kühlschränken im Einsatz – und sehr viel klimaschädlicher als CO2.

 

Regulatorische Anforderungen bezüglich Biodiversität

 

Auf der anderen Seite bildet Biodiversität die Grundlage vieler chemischer Verbindungen aus natürlichen Quellen zur Entwicklung von Arzneimitteln und anderen Produkten. Auch als Alternativen zu fossilen Grundstoffen wie Naphta werden eine Vielzahl von natürlichen Rohstoffen genutzt. Deshalb steigen nicht zuletzt die regulatorischen Anforderungen zum Schutz der Biodiversität auch in der Chemiebranche.

 

Auf internationaler Ebene ist dabei das kürzlich zustande gekommene Global Biodiversity Frameworks (Kunming-Montreal Abkommen) zu nennen, welches neben Staaten unter anderem auch große und „transnationale“ Unternehmen sowie Finanzinstitute in die Pflicht nimmt, Biodiversitätsrisiken und -auswirkungen zu erfassen (Ziel 15). Auf europäischer Ebene wird durch die ausgeweitete Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) und die daran geknüpften Indikatoren die Bedeutung von Biodiversität im Unternehmenskontext in Zukunft zunehmen. Unsere Kollegin Louisa Lösing hat die Entwicklungen im folgenden Artikel und im Factsheet zusammengefasst.

 

Andere Regularien wie die „EU Chemical Strategy for Sustainability“ zielen darauf ab, eine Umwelt frei von Giften zu erreichen. Die Freisetzung gefährlicher Stoffe in die Umwelt zu kontrollieren und Grenzwerte für Inhaltsstoffe, Emissionen und Abfallentsorgung festzulegen. Darüber hinaus wächst die Bedeutung der Entwicklung und Verwendung sichererer, und nachhaltigerer Chemikalien, die geringere Auswirkungen auf die biologische Vielfalt haben.

Was können Unternehmen tun?

Um die biologische Vielfalt zu fördern und die negativen Auswirkungen von Chemikalien zu minimieren, ist es für die chemische Industrie wichtig, einen ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz zu verfolgen, der den gesamten Lebenszyklus von Chemikalien und ihre Auswirkungen auf die biologische Vielfalt berücksichtigt. Dazu gehört die Entwicklung von Produktionsverfahren nach den Grundsätzen der „Green Chemistry“, die Verwendung von alternativen, biobasierten und / oder -recycelten Ressourcen und die Reduzierung von besonders kritischen Substanzen wie z.B. PFAS.

 

Um diese Ziele zu unterstützen und das Management der biologischen Vielfalt zu fördern, kann sich die chemische Industrie an Rahmenwerken wie dem Portfolio Sustainability Assessments (PSA) des World Business Council for Sustainable Development (WBCSD) orientieren. Die Ausrichtung und Zusammensetzung des Portfolios sind der Kern und Nachweis der Nachhaltigkeitsleistung des Unternehmens, weshalb es so wichtig ist, es in eine nachhaltigere Richtung zu lenken. Mit der PSA-Methodik können Unternehmen die ökologischen, sozialen und gesundheitlichen Risiken und Chancen ihres Produktportfolios identifizieren und passende Maßnahmen ergreifen. Biodiversität kann hier als sogenanntes Marktsignal integriert werden.

Die Methodik schreibt dabei 5 übergreifende Schritte vor:

  1. Festlegung von Zielen, Umfang und Prozess

  2. Definition der Bewertungssegmente

  3. Erkennen von Marktsignalen

  4. Kategorisierung des Portfolios

  5. Berichterstattung und Nutzung der PSA-Ergebnisse

 

Unternehmerische Prozesse und Produkte finden mit dieser Methodik viel Spielraum. Dies bedeutet jedoch eine sehr bedingte Vergleichbarkeit.

In Deutschland stellt Chemie3 mit der Biodiversity Toolbox eine Reihe an Instrumenten für Chemieunternehmen zur Verfügung, um die Auswirkungen ihres Handelns auf die Biodiversität zu ermitteln und Lösungen zu entwickeln. Die Toolbox umfasst dabei fünf Bereiche, von einer Abgrenzung der Biodiversitätsbegriffe, über Indikatoren und Messmethoden zu Best Practice Maßnahmen.

 

Ergänzend zu der Biodiversity Toolbox wird im UBi Projekt derzeit ein Biodiversity Check für die Chemiebranche erarbeitet. Dieser Biodiversity Check soll einen ersten Überblick über Biodiversitätsauswirkungen und -abhängigkeiten von Chemieunternehmen schaffen. Zusammen mit Chemie3 werden drei Pilotunternehmen dabei unterstützt, das Themenfeld Biodiversität systematisch über die Strategie, ihre Lieferkette bis zum Vertrieb zu beleuchten. Dieser Check kann dabei helfen, eine erste Grundlage für den Umgang mit dem Standard zu Biodiversität und Ökosystemleistungen, der ESRS E4 zu legen. Aus den Ergebnissen der unternehmensspezifischen Checks soll ein branchenspezifischer Check entwickelt werden, der den Unternehmen aus der Chemiebranche ab 2024 zur Verfügung steht.

 

Weiterführende Links

Chemie Hoch 3, Toolbox

 

EU Chemie Nachhaltigkets-Strategie (Chemicals Strategy for Sustainability)

 

Rahmenwerk vom WBCSD (PSA)

 

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