Interview: Bienenstöcke reichen nicht

Bild des Autors erstellt am 07.03.2024
von DIHK Service GmbH

Biodiversität und Wirtschaft sind eng miteinander verknüpft. Schreitet der Verlust der Biodiversität weiter voran, trifft das die Unternehmen auch finanziell. Das erklären Isabelle Fritsche und Lea Salthammer von der Unternehmensberatung Stakeholder Reporting, part of Mazars ihren Kundinnen und Kunden – und ebenso, dass Bienenstöcke auf dem Firmengelände allein nicht ausreichen.

 

Frau Fritsche, Frau Salthammer, aus Ihrer Beratungspraxis gesprochen: Ist das Thema Biodiversität bei den Unternehmen angekommen?

 

Lea Salthammer: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass selbst langjährige Kundinnen und Kunden, die sich seit Jahren mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen, das Thema bisher eher stiefmütterlich behandelt haben. Die Klimastrategie und die Bilanzierung von Treibhausgasemissionen standen im Vordergrund. Mit der CSRD kommt die Biodiversität nun auf den Tisch der Unternehmen. Zuvor wurde das Thema bei der Wesentlichkeitsanalyse am liebsten ausgeklammert. Es ist einfach sehr komplex. Viele wussten auch nicht, was genau sich hinter dem Begriff Biodiversität versteckt. In Beratungsgesprächen ist nun unsere erste elementare Frage: „Wissen Sie, was Biodiversität ist?“

 

Warum fällt es leichter, sich mit dem Klima zu beschäftigen als mit der Biodiversität?

 

Lea Salthammer: Für den Bereich Klima haben sich bereits bekannte Rahmenwerke und Instrumente etabliert. Dazu zählen beispielsweise die Vorgaben des Greenhouse Gas Protocols oder der Science Based Targets Initiative*. Außerdem gibt es eine entscheidende Kennzahl: Die CO2-Emissionen. Die kann man messen und vergleichen. Bei Biodiversität ist das noch nicht so. Im Herbst vergangenen Jahres ist das finale Rahmenwerk der Taskforce on Nature-related Financial Disclosure** veröffentlicht worden. Ich kann mir vorstellen, dass in den kommenden Jahren weitere Rahmenwerke dem Markt vorgeben werden, wo die Reise hingeht und den Unternehmen eine Orientierung bieten.

 

Isabelle Fritsche: Das Bewusstsein für Biodiversität darf nicht nur in der Nachhaltigkeitsabteilung eines Unternehmens vorhanden sein. Sie muss nach oben bis in die Geschäftsführung getragen werden, um die Akzeptanz und das Verständnis zu erhöhen. Denn häufig bekommen die Abteilungen von dort Druck, Biodiversitätskennzahlen zu definieren. Das ist dann verbunden mit der Frage, warum es nicht die eine Kennzahl gibt. Es gibt sie einfach nicht. Das kann aber auch ein Vorteil sein.

 

Wie das?

 

Isabelle Fritsche: Viele Unternehmen haben bereits Klimaziele und Wasserziele definiert oder erfassen ihren Abfall – das bedeutet, sie machen schon einiges für Biodiversität. Das nimmt dann auch die Sorge vor dem komplexen Thema. Aber es bleibt oftmals schwer greifbar.

„Das Bewusstsein für Biodiversität (…) muss nach oben bis in die Geschäftsführung getragen werden, um die Akzeptanz und das Verständnis zu erhöhen.“ – Isabelle Fritsche

 

Kann man Biodiversität immer noch aus der Wesentlichkeitsanalyse ausklammern?

 

Isabelle Fritsche: In der Vergangenheit war das nicht schwer, denn Wesentlichkeitsanalysen waren kaum reguliert und die vorhandenen Nachhaltigkeitsstandards ließen einen größeren Interpretationsspielraum zu. Unternehmen haben die wesentlichen Themen selbst definiert und analysiert. Mit dem Prinzip der doppelten Wesentlichkeit, die die CSRD vorschreibt, ist das schwieriger geworden. Jetzt werden die Themen vorgegeben und es muss geprüft werden, wie sich das Unternehmen auf die Biodiversität auswirkt und welche finanzielle Bedeutung wiederum Biodiversität für das Unternehmen hat. Biodiversität kann nicht mehr von Beginn ausgeschlossen werden, sondern ist immer Teil der Wesentlichkeitsanalyse.

 

Lea Salthammer: Biodiversitätsrisiken wie auch Klimarisiken sollten im Risikomanagement der Unternehmen berücksichtigt werden. Das kann dabei helfen, Risiken und Chancen abzuleiten. Was macht beispielsweise ein produktionsintensives Unternehmen, das von der Ressource Wasser abhängt, aber unklar ist, für wie viele Jahre am Produktionsstandort noch Wasser verfügbar ist.

 

Was kann das Unternehmen in diesem Fall machen?

 

Isabelle Fritsche: Da folgen wir streng der Logik, wie sie die CSRD vorgibt. Haben wir Wasser als wesentliches Thema identifiziert und sehen ein Risiko in der zuverlässigen Wasserversorgung, ist der nächste Schritt den Wasserverbrauch an den Standorten zu messen. Unternehmen sollten zunächst ihre Hotspots ausmachen, also herausfinden, wo der primäre Wasserverbrauch im Produktionsprozess liegt. Danach können Maßnahmen definiert werden. Beispielsweise können Wasserkreisläufe in der Produktion geschlossen oder Wasseraufbereitungssysteme installiert werden.

 

Welche Rolle spielen die Firmengelände für die Berichterstattung?

 

Isabelle Fritsche: In den Nachhaltigkeitsberichten der letzten Jahre geht es viel um Bienenstöcke und Grünstreifen, die bepflanzt werden. Das lässt sich sehr gut nach außen kommunizieren und ist für Unternehmen einfach umsetzbar. Diese Maßnahmen zeigen sicherlich an der ein oder anderen Stelle Wirkung. Das darf aber nicht der alleinige Fokus des unternehmerischen Biodiversitätsmanagements sein. Ist als wesentliches Thema im Bereich Biodiversität der Wasserverbrauch identifiziert worden, hat das Unternehmen hier auch die größte Auswirkung auf die Biodiversität. Dann muss es sich auch mit dem Wasserverbrauch befassen, anstatt nur in Grünstreifen zu investieren. Sonst droht die Gefahr des Greenwashings.

 

Verlangt die CSRD zu einem späteren Zeitpunkt nachzuweisen, dass der Wasserverbrauch tatsächlich gesunken ist?

 

Isabelle Fritsche: Erstmal ist die CSRD eine Berichtspflicht. Sie verpflichtet Unternehmen beispielsweise ihr Wasserengagement transparent zu machen. Sie verpflichtet im Bereich Biodiversität aber nicht zu einem Ziel, das bis zu einem bestimmten Tag erreicht werden muss. Im schlechtesten Fall kann ein Unternehmen kommunizieren, dass es sich zwar Ziele gesetzt, die aber nicht erreicht hat. Die CSRD wäre auch damit erfüllt. Dann kommt aber häufig Druck von externen Stakeholderinnen und Stakeholdern, denn der Bericht ist öffentlich einsehbar.

 

Ein Rat zum Schluss. Was kann ein erster praktischer Schritt sein, den Unternehmen für die Wesentlichkeitsanalyse gehen können?

 

Lea Salthammer: Wir haben gute Erfahrungen mit dem Einsatz von Tools, wie beispielsweise ENCORE gemacht. Das kostenlose Tool ermöglicht einen pragmatischen Ansatz, sich die eigenen Geschäftstätigkeiten anzuschauen und sie auf Basis der jeweiligen Industriezweige zuzuordnen. Wir empfehlen ein erstes Screening sowohl für die eigenen Geschäftsaktivitäten als auch für die vor- und nachgelagerte Wertschöpfungskette. Die Unternehmen analysieren dadurch in einem ersten Schritt mögliche Auswirkungen und Abhängigkeiten.

 

Isabelle Fritsche: Bei so einer übergeordneten Wesentlichkeitsanalyse müssen sich Unternehmen mit unglaublich vielen verschiedenen Themen auseinandersetzen, um die wichtigsten zu identifizieren. Daher ist der Einsatz von Tools am Anfang sehr effizient, weil er viel Zeit spart. Auch sollten Unternehmen sich nicht von der Komplexität des Themas Biodiversität verunsichern lassen, sondern an der Stelle ansetzen, wo der größte Hebel liegt.

 

Isabelle Fritsche und Lea Salthammer von der Unternehmensberatung Stakeholder Reporting, part of Mazars

Copyright: Stakeholder Reporting GmbH & Co.KG

 

*Science Based Targets Initiative ist ein Netzwerk von mehr als 45 Organisationen, das Methodikvorgaben für wissenschaftsbasierte Klimaziele (sogenannte Science Based Targets) definiert und fördert.

** Taskforce on Nature-related Financial Disclosure – kurz TNFD genannt – ist eine internationale Initiative, deren Mitglieder aus Wirtschaft und Wissenschaft sowie dem Nichtregierungssektor angehören. Sie entwickeln einen Rahmen für die Finanzberichterstattung von Unternehmen und Finanzinstitutionen, der die wirtschaftlichen Risiken aufgrund des Verlusts der Biodiversität einschließt.

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