Wissenschaft, die Lust auf Natur macht

Bild des Autors erstellt am 01.12.2023
von CSCP / Ellen Land
Senckenberg SGN, Portrait Tockner Naturkunde

Interviewpartner

Prof. Dr. Klement Tockner ist seit 2021 Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung. Er leitet gemeinsam mit dem Direktorium die operativen Geschäfte der Gesellschaft. Sein Spezialgebiet ist die ganzheitliche Geobiodiversitätsforschung. In unserem Interview haben wir Prof. Dr. Tockner zu seinen Ideen befragt, wie Wissenschaft dazu beitragen kann, Gesellschaft und Wirtschaft zum Handeln zu inspirieren.

Wie erreicht das Wissen um die Bedeutung der Biodiversität Menschen besser?

Unsere Naturkundemuseen können hier die Antwort sein. In Deutschland gibt es rund 600 Naturkundemuseen. Sie sind über das ganze Land verteilt. Dort arbeiten engagierte und kenntnisreiche Menschen. Naturkundemuseen haben von allen Museen das jüngste und vielfältigste Publikum, sodass wir hier auch Familien, Kinder und Jugendliche erreichen. Das Senckenberg Naturmuseum wird in diesem Jahr 500.000 Besucherinnen und Besucher in Frankfurt begrüßen, plus den etwa 600.000 virtuellen Besuchenden in unseren Online-Formaten. In den Naturkundemuseen zeigen wir positive Bilder von Natur und bieten Lösungsoptionen für ein naturverträgliches Leben an. Sie sind Orte des Vertrauens und der Vermittlung – welche Institution kann das heute sonst noch von sich behaupten?

 

Oase, Senckenberg SGN, Naturkunde Wissenschaft Kinder forschen

Welche wirtschaftlichen Änderungen sehen Sie aus Sicht der Wissenschaft, als die dringlichsten an?

Ich wünsche mir, dass die Wirtschaft ihre Geschäftsmodelle ausbaut, hin zu einem Natur-positiven Investieren und präventiven Handeln. Wir dürfen nicht nur die Verluste stoppen, sondern zu einer Regeneration kommen. Naturschutz lohnt sich, besonders auch wirtschaftlich!

 

Neugierde, einander Zuhören und den kritischen Blick schärfen.

Naturkundemuseen schaffen Diskussions- und Diskursorte und können bei Bürgerinnen und Bürgern sowie in der Wirtschaft Neugierde wecken, Menschen begeistern und kritisches Denken schärfen – alles notwendige Voraussetzungen, um die notwendigen Transformationen zu wagen und dann auch zu schaffen.

 

Bei der Weltnaturkonferenz in Montreal 2022 haben sich 198 Nationen ein wichtiges Ziel gesetzt: Umweltschädliche Subventionen massiv reduzieren und umwidmen, und zwar 500 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist für mich eine zentrale Stellschraube für die Transformation zu einem sensibleren Umgang mit der fragilen Biodiversität. Das würde einen großen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung nehmen. So ist die Kurve noch zu schaffen.

Oase, Senckenberg SGN, Naturkunde Wissenschaft Musdeum Dinosaurier

Herr Dr. Tockner sie kommen viel herum, kennen Sie gute Beispiele aus anderen Ländern?

Beispiele sind mir besonders auf kommunaler und nationaler Ebene begegnet. So hat New York in den 1990er-Jahren seine Wasserversorgung durch konsequenten Schutz des Wassereinzugsgebietes, der 200 Kilometer entfernt liegenden Catskill-Mountains, erreicht. Die Stadt New York musste sich damals entscheiden, ob sie die Leistungsfähigkeit des Wassereinzugsgebiets wiederherstellen oder eine technische Filteranlage betreiben. Die Kosten des natürlichen Schutzes – Verbesserung der Abwasseraufbereitung in dem Wassereinzugsgebiet und Ankauf von Flächen, um ihre Erschließung zu verhindern – wurden auf 1 bis 1,5 Milliarden US-Dollar geschätzt. Dies entsprach einem Fünftel der Kosten eines technischen Filtrationssystems. Jetzt ist dieses Wassereinzugsgebiet für die Bevölkerung New Yorks, für die dort lebenden Tiere, Pflanzen und die wertvollen Ökosysteme ein Segen. Und es spart den Bürgern viel Geld.

 

Ein weiteres beeindruckendes Beispiel ist Ruanda, Kenia und Uganda. Die drei Länder sind weitgehend plastikfrei, Ruanda bereits seit 2008. Durch meine Forschungsaufenthalte in Ruanda habe ich die bemerkenswerte Entwicklung lange verfolgt. Ein internationales Abkommen für eine plastikfreie Natur zu erwirken, wäre ein weiteres wichtiges Ziel.

 

Anmerkung der Redaktion: im November kam ein Abkommen gegen Plastik bei der UN-Konferenz in Nairobi leider nicht zustande.

 

Natur als Wirtschaftsfaktor für Länder

Im Tourismus-Sektor gehen manche Länder schon mit gutem Beispiel voran. Costa Rica und Bhutan investieren beispielsweise in nachhaltigen Tourismus. Der Wunsch nach Naturerlebnissen wächst, das können wir nicht nur in den Nationalparks erleben. Ich sehe auch in den europäischen Ländern, dass hier Veränderungen einsetzen. Kundinnen und Kunden in Europa werden sensibler, was die Themen Umwelt- und Biodiversitätsschutz angehen, auch das Thema Greenwashing rückt mehr in den Fokus.

Oase, Senckenberg SGN, Naturkunde Wissenschaft

Sie sind nicht nur Direktor der Senckenberg Gesellschaft, Mitglied bei der Leopoldina, sondern auch ein international führender Gewässerökologe.

Was sind Ihre nächsten wissenschaftlichen Pläne?

Zurzeit beschäftige ich mich mit Oasen. Sie sind bis heute wenig erforscht und zugleich Schlüssellebensräume in ariden Gebieten.

Oasen, die grünen Inseln für Mensch, Tier und Pflanze

Oasen werden von unterirdischen Wasserspeichern versorgt, welche eine einzigartige – kulturelle und biologische – Vielfalt schaffen: Zivilisationen sind in Oasen entstanden. Sie sind durch Karawanenwege miteinander und der übrigen Welt verbunden. Traditionelle Bewässerungs- und Anbausysteme haben dort ihren Ursprung. Trockengebiete machen vierzig Prozent der Landfläche der Erde aus. Dort schaffen Oasen „grüne Inseln“, sie formen ein Mikroklima und ermöglichen das Entstehen und Gedeihen vielfältiger Natur und Kultur.

 

Open-Source-Datenbank zu Oasen

Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung hat 2022 ein Projekt zu Oasen ins Leben gerufen. Gemeinsam mit meinem Kollegen Dr. Juan Antonio Hernández-Agüero haben wir  „S-Oasen“ initiiert. Ziel des Vorhabens ist es, alle Oasen weltweit zu erfassen, ihre Biokulturelle Vielfalt zu untersuchen und eine Open-Source-Datenbank zu erstellen, die es etwa Forscherinnen und Forschern weltweit ermöglicht, Informationen über diese besonderen Ökosysteme zu erhalten. In dem Projekt können auch Bürgerinnen und Bürger für die Datenbank Fotos und Informationen zur Verfügung stellen.

 

Oase, Senckenberg SGN, Naturkunde Wissenschaft

Oasen, kurtuelle und ökologische Trittsteine in der Wüste.

Was ist Ihr persönlicher Lieblingslebensraum?

Der Fluss Tagliamento, im oberitalienischen Friaul, ist einer der letzten Wildflüsse in Mitteleuropa – er ist der „König der Alpenflüsse“. Hier existiert ein dynamisches Mosaik an Lebensräumen mit einer eindrucksvollen Vielfalt an Lebewesen. Mit jedem Hochwasser ändert sich das Aussehen dieses Naturraums. Einige Abschnitte des Flusslaufes sind als Gebiete des europäischen Natura-2000-Netzwerkes nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) der EU geschützt, andere sind hingegen noch immer von Verbauung bedroht. Zudem bildet das Friaul eine besonders spannende und reiche Kulturlandschaft.

Tagliamento Fluss im Friaul, Naturraum SGN Senckenberg
Senckenberg SGN, Portrait Tockner Naturkunde

Kontakt

Prof. Dr. Klement Tockner

Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

Telefon:  +49 69 7542 1214

E-Mail: generaldirektion@senckenberg.de

Website: www.senckenberg.de/de/ueber-uns/organisation/generaldirektor/

 

Weiterführende Informationen

Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

 

Oasen-Projekt

 

Podcast Tipp

Klement Tockner im Senckenberg-Podcast ERDFRREQUENZ

 

Wasserversorgung New York

Informationen der Bundeszentrale für politische Bildung

 

Tourismus in Bhutan

Informationen der Tagesschau

 

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