Biodiversitäts- und klimafreundliche Alternativen zu Torf: Wie HORTICERT den Gartenbau nachhaltiger macht

Bild des Autors erstellt am 15.11.2024
von Global Nature Fund

Torf ist weltweit der Hauptrohstoff für Blumenerden und Kultursubstrate. Doch der Torfabbau in trockengelegten Mooren ist eine erhebliche Quelle von Treibhausgasen. Nachhaltige Alternativen wie Grüngutkompost, Holzfasern, Rindenhumus, Kokosfasern und Kokosmark bieten eine umweltfreundliche Lösung mit deutlich geringerem CO2-Fußabdruck. Gemeinsam mit dem Global Nature Fund und rund 40 weiteren nationalen und internationalen Organisationen entwickelt die Meo Carbon Solutions GmbH HORTICERT – ein Zertifizierungssystem, das die Nachhaltigkeit von Torfersatzstoffen sicherstellt. Ziel ist es, den klimafreundlichen Gartenbau aktiv voranzutreiben.

Markus Bockholt arbeitet seit mehr als zwei Jahren als Projektmanager bei der Meo Carbon Solutions GmbH und ist aktiv an der Entwicklung von HORTICERT beteiligt.

Hallo Herr Bockholt, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für dieses Interview genommen haben. Können Sie uns zunächst einen Überblick darüber geben, was HORTICERT genau ist und welche Motivation hinter dem Projekt steht?

Sehr gerne. HORTICERT ist ein internationales Zertifizierungssystem zur Überprüfung der Nachhaltigkeit von Torfersatzstoffen, welches von dem Beratungsunternehmen Meo Carbon Solutions GmbH im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft seit Ende 2021 entwickelt wird. HORTICERT unterstützt damit die nationale Torfminderungsstrategie, die vorsieht, dass der Einsatz von Torf im Hobbygartenbau bis 2026 beendet und im Profigartenbau bis 2030 stark reduziert wird. Der Name setzt sich übrigens aus den Wörtern Horticulture (Anm. d Red.: dt. Gartenbau) und Certification (Anm. d Red.: dt. Zertifizierung) zusammen.

Mit einer HORTICERT-Zertifizierung kann sichergestellt werden, dass die zertifizierten Torfersatzstoffe ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltig produziert und entlang internationaler Lieferketten zurückverfolgt werden können. Darüber hinaus haben wir unter HORTICERT eine einheitliche Methodik zur Berechnung des CO2-Fußabdrucks von Torfersatzstoffen entwickelt, an die sich alle zertifizierten Unternehmen halten müssen. Auf diese Weise schaffen wir die nötige Transparenz und Vergleichbarkeit der Emissionseinsparungen von torffreien oder torfreduzierten Substraten.

Logo von Horticert

© Meo Carbon Solutions GmbH

Welche Torfersatzstoffe zertifiziert HORTICERT und warum ist eine Zertifizierung notwendig?

Derzeit können unter HORTICERT die gängigsten Torfersatzstoffe wie Grüngutkompost, Holzfasern, Rindenhumus und kokosbasierte Materialien zertifiziert werden. Grüngutkompost stammt aus Garten- und Parkabfällen und wird meist lokal bezogen. Holzfasern und Rindenhumus stammen aus Nebenprodukten der Holzindustrie, während Kokosfasern und Kokosmark aus den Schalen der Kokosnuss hergestellt werden. Letztere kommen meist aus Indien oder Sri Lanka zu uns nach Europa. In Zukunft können auch weitere Torfersatzstoffe wie etwa Reisspelze oder Miscanthus unter HORTICERT zertifiziert werden.

Eine Zertifizierung ist entscheidend um sicherzustellen, dass die Torfersatzstoffe tatsächlich nachhaltiger sind als der Torf selbst. Es darf nicht passieren, dass die Umweltprobleme des Torfs etwa auf soziale Probleme bei kokosbasierten Alternativen verlagert werden – das würde uns letztlich nicht weiterbringen.

Darüber hinaus ist Nachhaltigkeit von Torfersatzstoffen glücklicherweise in den vergangenen Jahren ein wesentlicher Entscheidungsparameter sowohl im B2B-Geschäft als auch bei der Kaufentscheidung der Endverbraucher geworden. Eine Zertifizierung stellt sicher, dass entlang der gesamten Lieferkette der zertifizierten Torfersatzstoffe, einschließlich der Land- und Forstwirtschaft, umweltfreundlich und sozial verantwortlich gewirtschaftet wurde.

Trocknung von Kokosafasern (Torfersatzstoff)

Trocknung von Kokosafasern (Torfersatzstoff) © Meo Carbon Solutions GmbH

 Was ist das Besondere an HORTICERT? Und was zeichnet das Projekt bzw. den Standard aus?

Das Besondere an HORTICERT sind vor allem drei Dinge. Zum einen natürlich die Nachhaltigkeitsanforderungen an die zertifizierten Unternehmen. Sieben Grundprinzipien decken ökologische, soziale und ökonomische Aspekte ab. Für jedes dieser Prinzipien gibt es klar definierte Anforderungen, deren Einhaltung bei einem Audit überprüft werden.

Zum anderen haben wir im Rahmen des Projekts ein Blockchain-ähnliches digitales Tool mit höchster Datenschutzsicherheit entwickelt, welches zertifizierte Materialien entlang der gesamten Lieferkette einfach und sicher zurückverfolgen kann. Das Tool stellt durch seine präzise Rückverfolgung sicher, dass keine unautorisierten Materialien beigemischt und fälschlicherweise als nachhaltig deklariert werden. Darüber hinaus erleichtert es die Dokumentation der zertifizierten Unternehmen sowie den Auditprozess.

Als drittes ist der sogenannte Multi-Stakeholder-Dialog zu nennen. Über 40 nationale und internationale Organisationen aus der Substratindustrie, dem Handel, der Politik, Wissenschaft und NGOs beteiligen sich in regelmäßigen Workshops und Arbeitsgruppen an der Weiterentwicklung HORTICERTs. Dieser Ansatz kann zwar herausfordernd sein, ist uns aber besonders wichtig, damit HORTICERT als praxisnahes, wissenschaftlich fundiertes und glaubwürdiges Zertifizierungssystem vom Markt anerkannt wird und den Ansprüchen der verschiedenen Stakeholder gerecht wird.

Wie trägt HORTICERT zum Biodiversitätsschutz bei?

Intakte Moore sind nicht nur ein bedeutender Kohlenstoffspeicher, sondern beherbergen gleichzeitig eine große Vielfalt spezialisierter Tier- und Pflanzenarten. Somit sind Moore ein wichtiger Bestandteil zum Erhalt von Biodiversität. Auch wenn in Deutschland keine aktiven Moore mehr für die Substratindustrie zerstört werden, ist dies andernorts der Fall. Die Verringerung des Torfanteils in Kultursubstraten hilft dabei, diese einzigartigen Ökosysteme zu bewahren. Durch die Zertifizierung von Torfersatzstoffen stellt HORTICERT sicher, dass nachhaltige und klimafreundliche Alternativen zu Torf verwendet werden.

Was sind die Anforderungen? Und was muss ein Betrieb erfüllen, um zertifiziert zu werden?

Um ein Unternehmen und dessen Produkte zu zertifizieren, überprüfen geschulte Auditoren als unabhängige Dritte je nach Land, Unternehmen und Rohstoff bis zu 140 verschiedene HORTICERT-Kriterien pro Standort.

Zertifizierte Unternehmen müssen Menschen- und Arbeitsrechte einhalten und beispielsweise mittels konkreter Maßnahmen nachweisen, dass das Risiko von Kinderarbeit bestmöglich minimiert wird. Darüber hinaus müssen sie bei Flächen mit hohem Naturschutzwert den Erhalt des Schutzstatus, die umweltfreundliche Produktion und Weiterverarbeitung der Rohstoffe sowie die Herkunft aus entwaldungsfreien Anbauflächen nachweisen. Die gesamte Lieferkette, von der Gewinnung der Rohstoffe bis zur Fertigstellung des finalen Substrats, darf keine Verstöße gegen die ökologischen, sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeitsanforderungen von HORTICERT aufweisen.

Da die HORTICERT-Anforderungen in den Jahren nach der Erstzertifizierung schrittweise erhöht werden, müssen die Unternehmen eine Nachhaltigkeitsstrategie entwickeln, in der sie Maßnahmen aufstellen, um ihre Produktion zukünftig noch umweltfreundlicher und sozial verantwortlicher zu gestalten.

Um das HORTICERT-Logo auf Produktverpackungen verwenden zu dürfen, müssen Unternehmen mindestens 25 % der Inhaltsstoffe eines Produkts unter Anwendung des Prinzips der Massenbilanzierung (Anm. d. Red.: Das Prinzip der Massenbilanzierung ist hier erklärt) zertifizieren lassen. Zudem dürfen die zertifizierten Produkte maximal 30 % Torf für Hobby-Erden bzw. 70 % Torf für Profi-Erden enthalten.

Welche sind die nächsten Schritte im HORTICERT-Projekt? Wie könnte der Standard perspektivisch weiterentwickelt werden?

Die nächsten Schritte im HORTICERT-Projekt umfassen vor allem die Integration weiterer Torfersatzstoffe in das Zertifizierungssystem sowie die Weiterentwicklung der Methodik zur Berechnung des CO2-Fußabdrucks. Zudem ist es uns wichtig, dass wir auf internationaler Ebene bekannt werden und HORTICERT eine breite Anwendung findet. Darüber hinaus haben wir den Anspruch, derzeitige und bevorstehende EU-Vorschriften wie etwa CSRD, EUDR oder Green Claims Directive abzudecken, um die langfristige Konformität sicherzustellen. Nach Ablauf der Projektförderung durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft im Jahr 2025 soll HORTICERT als unabhängiges Zertifizierungssystem weitergeführt werden.

Erste Unternehmen haben bereits erfolgreich eine HORTICERT-Zertifizierung erhalten. Können Sie den Zertifizierungsprozess kurz erläutern?

Wenn sich ein Unternehmen für eine HORTICERT-Zertifizierung entscheidet, beginnt der Prozess mit der Auswahl einer geeigneten Zertifizierungsstelle und der Registrierung bei HORTICERT. Im nächsten Schritt sollte eine umfassende Vorbereitung der Unternehmen auf das Audit erfolgen. Im Anschluss führt die unabhängige Zertifizierungsstelle das Audit durch, bei erfolgreichem Abschluss kann dann das Zertifikat mit einer Gültigkeit von einem Jahr ausgestellt werden.

Audit in Deutschland © Meo Carbon Solutions GmbH

Warum sollte ich mich als Unternehmen für eine HORTICERT-Zertifizierung entscheiden und an wen kann ich mich für weitere Informationen wenden?

Unternehmen profitieren von einer HORTICERT-Zertifizierung, weil sie das Vertrauen von Kunden und Partnern stärkt und belegt, dass hohe ökologische und soziale Standards eingehalten werden. Als erstes internationales Zertifizierungssystem für Torfersatzstoffe ermöglicht HORTICERT es Unternehmen frühzeitig auf neue regulatorische Anforderungen zu reagieren. Darüber hinaus kann die HORTICERT-Zertifizierung auch als Nachweis für Herkunft und Nachhaltigkeit gegenüber weiteren Siegeln und Zertifizierungssystemen dienen. Durch eine Zertifizierung positioniert sich das Unternehmen als verantwortungsvoller Akteur und trägt aktiv zu einer nachhaltigeren Branche bei.

Gruppenbild Horticert-Zertifizierung

Organisationen mit HORTICERT Zertifizierungen © Meo Carbon Solutions GmbH

Interessierte Unternehmen, die mehr über das HORTICERT-System erfahren wollen, können unsere Website https://www.horticert.org/de besuchen und per E-Mail an info@horticert.org Kontakt aufnehmen.

Interviewpartner:

Markus Bockholt

Projektmanager Nachhaltigkeit bei Meo Carbon Solutions

Hohenzollernring 72
50672 Köln
Deutschland

Portrait von Markus Bockholt, Projektmanager bei Meo Carbon Solutions

© Meo Carbon Solutions GmbH

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